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04.09.08

Woher kamen die Steine der Kopfsteinpflasterstraßen?

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Woher kamen die Steine, die bei den Sanierungen in den letzten zwölf Jahren von unseren Straßen entfernt wurden?

Denen in der Schul-, Schützen- und Grünstraße sieht man bzw. sah man es auf den ersten Blick an. Sie kamen von den Äckern rings um Biesenthal. Es waren die zusammengelesenen Feldsteine. Bunt und vielfältig in den Gesteinsarten und daher auch im Aussehen, aber leider auch in der Form, was sie uns als Straßenoberfläche so schwer erträglich machte und z.T. noch macht. Über sie wissen wir, dass sie in und auf den Gletschern der letzten Inlandvereisung unseres Gebietes vor 25.000 bis 17.000 Jahren aus Skandinavien hierher gekommen sind. Aber zu dieser Zeit hatten sie ihr Leben und erst recht ihre z.T. aufregende Zeit der Entstehung als Gestein schon Hunderte Millionen Jahre hinter sich und bildeten den Felsuntergrund und die Gebirge Norwegens und Schwedens.

Und die gut formatierten Steine aus der Bahnhofstraße, der August-Bebel-Straße, der Breite Straße und der Ruhlsdorfer Straße, alle rechteckig oder quadratisch in der Form und wenig variabel in den Farben? Vor allem ihre allseitig geraden Flächen und ihre relative Gleichförmigkeit der Gesteinsart zeigen an, dass sie in Steinbrüchen in den jeweiligen Gesteinstypen gewonnen worden sind.

Aber wo waren solche Steinbrüche? Das sieht man den Gesteinen nicht ohne weiteres an. Zwei von ihnen, die in der Hauptbahn des Biesenthaler Pflasterdenkmals an das Pflaster der Bahnhofstraße erinnern sollen, kamen möglicherweise ebenfalls aus Skandinavien zu uns. Es sind zwei Arten von Gneis. Das sind Gesteine, die in ihrem jetzigen Zustand bei höheren Temperaturen und z.T. auch höheren Drücken aus einfacheren Gesteinen entstanden sind (Bilder 1 und 2). Wenn die Vermutung über ihre Herkunft zutrifft, sind sie aber nicht vor Tausenden von Jahren als „Ladung“ des Eiszeiteises, sondern vor 100 bis 150 Jahren als Ladung oder Ballast des Frachtschiffverkehrs zwischen Skandinavien, speziell Schweden und Deutschland, über Ostseehäfen hierher gekommen. Um diese Zeit wurde der massenhafte und zunehmende Bedarf an Pflastersteinen für den Boom des Pflasterns norddeutscher Stadtstraßen und Berlins preiswert durch Seeweg-Import von dort gedeckt. Für die Pflastersteinherstellung geeignete Gesteine kommen dort direkt an der Küste vor. Auf reichlich 200 m Länge enthielt das Pflaster der Bahnhofstraße auch einen ganz unspektakulären Granit, vermutlich aus Schlesien (Bild 3).

Eine interessante Besonderheit aber stellte das Pflaster der knapp 800 m zwischen der Steinstraße und dem Weg „Melchower Feld“ gegenüber dem Stadtpark dar. Es zeichnete sich im Gegensatz zu den übrigen Abschnitten durch eine auffallende Vielfalt der Gesteine aus, die diesem Abschnitt besonders bei nassem Wetter ein interessantes Aussehen verlieh (Bild 4). Hier brachte die „Demontage“ des Pflasters aber Pflastersteinformen zu Tage, die denen der übrigen Abschnitte fehlten. Zwar war ihr „Kopf“ etwa normgerecht rechteckig oder quadratisch geschlagen, aber einzelne Seiten der Steinkörper waren oft sehr unregelmäßig behauen und hatten schiefe Flächen. Vor allem aber waren bei vielen Exemplaren einzelne Kanten und/oder die sechste, untere Seite überhaupt nicht geschlagen, sondern hatten die runde Form eines Feldsteines (Bilder 5 und 6). Aus den beschriebenen Eigenschaften (Formen und Gesteinsvielfalt) dieses Pflasters leite ich die Annahme ab, dass die teilformatierten Pflastersteine der genannten 800 Meter wirklich märkischer Herkunft waren: in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts bis in das 20. hinein bestand nämlich im Gebiet Althüttendorf - Joachimsthal eine Pflastersteinindustrie, die die dortige „Blockpackung“ – eine eiszeitliche Anhäufung von Steinen aller Größen – als „Rohstoff“ benutzte. Die Verwendung diese Materials in der Bahnhofstraße ist insofern eine Besonderheit, als um 1910, dem wahrscheinlichen Zeitraum der Pflasterung dieser Straße, die Blütezeit der Althüttendorfer Pflastersteinherstellung schon überschritten war und Massenimport von Großsteinpflaster aus Skandinavien vorgeherrscht hat. Diese in der Bahnhofstraße verwendeten Steine könnten auch schon damals wiederverwendetes Material gewesen sein, das bei der „Umpflasterung“ einer Straße in einem anderen Ort angefallen war. Leider gibt es im Stadtarchiv keine Dokumente, die die damalige Materialbeschaffung (Aufträge, Rechnungen u.ä.) belegen.

Text und Fotos J. Wasternack