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29.09.2006
Abschiedsrede von Bürgermeister Thomas Kuther
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, dass Sie heute abend bei uns zu Gast sind.
Entschuldigen Sie, oder besser, entschuldigt bitte, die etwas förmliche Anrede. Alle, die hier sind, haben es verdient, persönlich begrüßt zu werden. Aber das würde wohl einfach zu viel Zeit kosten. Gestatten Sie mir aber doch eine persönliche Begrüßung der Landtagsabgeordneten Ralf Christoffers und Margitta Mächtig, der Bundestagsabgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, des Amtsdirektors Hans-Ulrich Kühne, sowie aller Weggefährten der letzten 13 Jahre.
Mit großer Freude heiße ich eine Delegation aus der Biesenthaler Partnerschaftsstadt Nowy Tomyśl willkommen. Ich darf mit großer innerer Genugtuung den Bürgermeister Herrn Helwing, seinen Stellvertreter Herrn Ruta und, wie sage ich immer, den „Chefdolmetscher“ Herrn Franzski begrüßen. Zwischen den Städten Nowy Tomyśl und Biesenthal haben sich in den nun fast sieben Jahren der Zusammenarbeit tiefe, freundschaftliche bzw. städtische, kulturelle wie auch private Beziehungen entwickelt, ob zwischen den Abgeordneten, Städten, Vereinen und den Schulen oder zwischen mehreren Familien. So war es Ziel und so wird es auch bleiben. Ich versichere unseren polnischen Freunden, dass auch in Zukunft die Zusammenarbeit und die Vertiefung der Beziehungen eine Grundaufgabe der Stadtverordnetenversammlung Biesenthal bleiben wird.
Heute ist die Stunde gekommen, in der es heißt: Abschied zu nehmen. Bürgermeister Kuther geht vorwiegend aus gesundheitlichen, wie auch aus familiären Gründen in den Ruhestand. Es heißt Abschied nehmen von einer insgesamt 20jährigen Dienstzeit als Bürgermeister. 7 Jahre hauptamtlich in der DDR und fast 13 Jahre als ehrenamtlicher Bürgermeister. Der Abschied ist unwiderruflich – gepaart mit frohem, aber auch schwermütigem Herzen. Viele, der hier heute Anwesenden, haben mich über weniger oder aber überwiegend längerer Zeit in meiner Arbeit als Bürgermeister der Stadt Biesenthal begleitet, unterstützt und kritisch beobachtet.
Als ich 1981, eingesetzt durch den Rat des Bezirkes Frankfurt/Oder, die Funktion des Bürgermeisters in der Stadt Biesenthal übernahm, stand ich, oder besser der Rat der Stadt Biesenthal vor Problemen, die im Rahmen damaliger „Planwirtschaft“ schier unlöslich erschienen. Als aller Erstes musste ich als gebürtiger Sachse, ausgerüstet mit Optimismus, Lebensfreude und einem an der ASR angeeignetem guten Fachwissen mich auf die Brandenburger Mentalität einstellen. Denn eine Erkenntnis, die auch heute noch ihre volle Gültigkeit hat, stellte sich bei mir sehr schnell ein. Ohne die Bürger, ohne die Leistungen der damaligen Betriebe, Einrichtungen und Gewerbetreibenden für die gestellten Aufgaben zu gewinnen, war es Arbeit ins Leere. Ich glaube, es ist mir damals sowie auch in den letzten Jahren, im Rahmen der manchmal mehr oder weniger bestehenden Möglichkeiten, fast gelungen.
Biesenthal – das war in den achtziger Jahren eine Stadt mit sichtbaren und fast unlösbaren Problemen. Wohnungsprobleme, die uns fast erdrückten, Umweltprobleme, die bis an die Grenzen der Zumutbarkeit gingen. Ich denke da z.B. nur an die Abwasserproblematik in unserer Stadt, die mir täglich optisch wie auch geruchsmäßig auf dem Marktplatz präsentiert wurde, oder an die Geruchswolken der Möbelfolie, die über der Stadt schwebten, an Straßen – die eigentlich nur noch im Kataster der Stadt als Straßen zu bezeichnen waren, oder an die Problematik der Trinkwasserversorgung in der ganzen Stadt, na und von Handel und Versorgung ganz zu schweigen.
Nur eines hatten wir damals wie auch heute, nämlich eine Naturlandschaft, auf die wir zu Recht stolz sein können.
Und wenn sich damals nicht eine so kameradschaftliche, enge Zusammenarbeit mit den gesellschaftlichen Organen, Betrieben, Einrichtungen und Handwerkern der Stadt entwickelt hätte, wäre unsere Stadt ein „NICHTS“ geblieben, Für diese damalige Unterstützung möchte ich Ihnen heute noch ein Dankeschön aussprechen. Wir hatten so Einiges neben Planwirtschaft und Parteibeschlüssen in Biesenthal erreicht, was ohne Sie und Ihre Mitarbeit nicht möglich gewesen wäre.
1987 hieß es dann, wie man so schön zur damaligen Zeit sagte: „Im gegenseitigen Einvernehmen“ als Bürgermeister Abschied zu nehmen. Ich stand wohl nicht mehr so richtig in der Parteilinie. Das war für mich nicht leicht oder klar gesagt: „Eine politische wie auch menschliche Niederlage“. Abschied von Biesenthal hieß es aber nicht. Ich glaube nach 25 Jahren sagen zu dürfen: „Ich bin ein Biesenthaler!“
Dann kam die Wende! Alles, aber auch alles, wurde anders:
Wir konnten verreisen wohin wir wollten.
Wir konnten einkaufen ohne Ende.
Wir konnten, so wie es die Demokratie zuließ, auf jeden und auf alles schimpfen.
Wir konnten eben so richtig loslegen – Euphorie pur!
Das Wort „Planwirtschaft“ gab es nicht mehr. Aber irgendwie ging es doch nicht ohne einen Plan. Und so wurde wieder in der Stadt ordentlich und viel geplant, egal was es damals kostete. Privateigentum wurde wieder Privateigentum. Betriebe wurde „reorganisiert“. Viele verschwanden spurlos. Handwerker lernten die Symptome der freien Marktwirtschaft in allen Varianten kennen. Es war eine Stimmung von Himmel hoch jauchzend bis zum Tode betrübt. Arbeitslosigkeit – ein Wort, das fast aus unserem damaligen Wortschatz verschollen war – griff im immer stärkeren Maße um sich. Viele Familien wurden und sind heute noch davon betroffen. Auch das war und ist Bestandteil der neuen Zeit. Den weiteren, heutigen Werdegang kennen alle: „Arbeitslos – Arbeitsamt – Hartz IV-Empfänger“. Neu hinzu gekommen und erschreckend zugleich ist die um sich greifende und drohende Armut. Viele Menschen und Familien versuchen verzweifelt und schamhaft diese Situation zu vertuschen. Aber sie ist da, auch in Biesenthal.
Aber das soll heute und hier nicht das Bestimmende sein.
1993 wurde ich im Rahmen der Kommunalwahlen gefragt, ob ich nicht wieder für den Bürgermeisterposten kandidieren wolle. Nach Abstimmung mit der Familie sagte ich zu. In der damaligen Bürgerversammlung auf dem Gelände des Mielke-Bunkers - „Objekt 5005“, welche unter dem Thema stand: „Ist Biesenthal noch zu retten?“, wurden die Kandidaten für die Wahl vorgestellt. Vier Kandidaten waren es, die Bürgermeister werden wollten: Frau Czekalla, Herr Schumann, Herr Friedrich und Herr Kuther. Herr Kuther wurde damals im ersten Wahlgang als ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt Biesenthal gewählt.
Das ist nun gute 13 Jahre her! 13 lange, aber auch kurze Jahre. Eigentlich hatte ich mir damals gesagt: „Probiere es einfach!“ Außerdem wollte ich sehen, wie und was im Vergleich früher zu heute möglich ist. Denn es war ja so: Früher war Biesenthal eigentlich eine finanziell sehr gut dastehende Stadt, aber es gab für das Geld nichts zu kaufen. Alles war „bilanziert“ und wenn man etwas brauchte, dann halfen nur „List und Tücke“ oder das berühmte „Vitamin B“.
Heute ist es doch so: Dass, wenn man genug finanzielle Mittel zur Verfügung hat, alles erwerben kann, was das Herz begehrt. Ja – wenn man die Finanzen hat. Eigentlich ist es uns bis jetzt – uns, das sind die Stadtverordneten – mit gutem brandenburgischen Geiz und einem gewissen Maß eines realistischen Weitblickes gut gelungen, die Gelder so einzusetzen, dass sichtbare und zukunftsträchtige Vorhaben und Maßnahmen realisiert werden konnten. Hier nun ein paar Beispiele, die heute schon zur „Selbstverständlichkeit“ geworden sind.
Abwassererschließung in der gesamten Stadt
Gewährleistung einer stabilen Trinkwasserversorgung
Jeder der möchte und kann hat in seiner Wohnung ein Telefon.
Zu erwähnen sind ganz besonders unsere zwei Schulen, die mit zu den am besten ausgerüsteten im Land Brandenburg gehören.
Die KITAS erfüllen voll die heutigen Ansprüche.
Die Stadtkernsanierung konnte seit 1994 kontinuierlich geplant und erfolgreich durchgeführt werden.
Cirka 190 städtische Wohnungen wurden komplett modernisiert bzw. saniert.
Diese Erfolge haben aber auch mehrere „Väter“:
die Stadtverordnetenversammlung
das Amt Biesenthal-Barnim,
die STEG GmbH
und viele zeitweise ehrenamtliche Arbeitsgruppen
Biesenthal ist wieder etwas. Eine schöne und lebenswerte brandenburgische Kleinstadt mit stetig wachsender Einwohnerzahl. 1993 hatten wir 4300 Einwohner. So sind es zum heutigen Tag fast 5500. Die Hauptstraßen sind wieder richtige Straßen mit neuen Fuß-/Radwegen. Manche Siedlungsstraße erhielt ein neues Bild. Dort liegen aber noch viele Probleme „brach“, aber es geht vorwärts. Und sollte doch das Versprechen eingehalten werden, die Bahnhofstraße in Gänze grundhaft zu erneuen – wäre ein Biesenthaler „Grundübel“ nur noch Geschichte. Neue Wohngebiete sind entstanden bzw. werden entstehen. Fast 200 neue Eigenheime wurden errichtet, und viele, viele Altbauten wurden in Privatinitiative liebevoll saniert und erstrahlen in alter neuer Schönheit. Ich wiederhole mich hier gerne. Biesenthal ist wieder Biesenthal. Das alte Image einer grauen, von Rauhputz geprägten Stadt ist Vergangenheit.
Liebe Gäste, liebe Freunde, das alles konnte nur erreicht werden, indem wir als Stadt mit den Ämtern, Firmen, den Vereinen und Handwerkern kontinuierlich miteinander gearbeitet haben. Alle, die hier heute anwesend sind, haben daran einen großen Anteil. Für diese Arbeit möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken. Sie waren mir stets verlässliche Partner, haben Dank Ihrer Arbeit unserer Heimat zur alten Schönheit verholfen. Ich habe nun eine Bitte an Sie, auch in der Zukunft die Stadt in diesem Maße weiter zu unterstützen.
Nun geht meine Amtszeit zu Ende. Es waren schöne Jahre mit Erfolgen, Erkenntnissen und auch Niederlagen. Es waren Jahre, die von meiner Familie viel, viel, manchmal bis an die Grenze gehendes Verständnis abverlangten. Ohne dieses Verständnis wäre das alles für mich nicht möglich gewesen.
Jetzt, leicht ergraut und mit viel Erkenntnissen aus der Arbeit möchte ich mich mit einem kleinen Gedicht von Ursula Weber-Hunkele verabschieden:
Kluge Einsicht
– eigentlich könnte es auch „Der Bürgermeister“ heißen
Immer fleißig und bescheiden,
d’rauf bedacht, man kann mich leiden ...
das kann nicht auf Dauer tragen,
dient, die Seele auszulaugen.
Helfen, wo es wirklich wichtig,
das ist ohne Zweifel richtig,
aber manchmal muss man wagen,
einem Freunde „Nein!“ zu sagen.
Schließlich macht es keinen Sinn,
wenn ich selbst am Ende bin,
ist die Kraft erst aufgebraucht,
nicht mehr sie für and’re taugt.
Hau ich auch mal auf den Tisch,
geht’s mir wieder richtig frisch.
Ist der Frust erst ganz entleert,
wird mein Wesen froh und wert.
In diesem Sinne: Danke an Sie! Ich wünsche Ihnen Gesundheit, Kraft, Lebensfreude und Erfolg.
Ich lasse viele Kameraden und Freunde zurück. Sie haben mir durch Ihre – eure – Anwesenheit eine große Ehre erwiesen. Wie sagte doch der legendäre Bürgermeister Otto Salzmann aus Danewitz immer in einer solchen Situation: „Wer eines Freundes Freund nicht ehrt, der ist des Freundes Freund nicht wert!“
In diesem Sinne: Ihr – Euer – Bürgermeister in Ruhe
Thomas Kuther